Babel
Babel
Beim Wort Babel denkt man an den Turmbau zu Babel und an alles, was da vorgefallen ist oder auch nicht, aber es gibt auch den Isaak Babel und der hat mit Sprachverwirrung nichts zu tun, im Gegenteil.
Von Babel kann man lernen, wie man eine Erzählung beginnt.
Einer dieser ersten Sätze lautet:
«Stöhnen steht über dem Dorf.»
Eine anderer:
«Am Abend vor dem Sabbat plagt mich immer die dichte Trauer der Erinnerung.»
Oder in einem ganz anderen Ton:
«Lieber Genosse Redaktor. Ich will Inen beschreiben über das falsche Bewusstsein von Frauen, welche uns schädlich sind.»
Eine Geschichte über Budjonnyj, den berüchtigten General der Roten Kavallerie und späteren dreifachen Held der Sowjetunion, beginnt mit dem Satz:
«Budjonnyj in roten Hosen und Silberlampassen stand an einem Baum.»
Stand an einem Baum, der Budjonnyj: unschlagbar!
Viele seiner ersten Sätze sind für sich schon eine ganze Geschichte. Es ist nicht leicht, solche Sätze zu schreiben. Es ist auch nicht leicht, nach solchen Sätzen noch eine Geschichte zu schreiben.
Darum muss ich mich korrigieren. Man kann von Babel nicht lernen, wie man eine Erzählung beginnt. Wie Babel schreibt; das kann man nicht lernen.
Ich habe zwei Bücher von Babel. Das eine heisst Mein Taubenschlag, es enthält seine Erzählungen. Das andere ist das Kriegstagebuch von 1920.
Mehr hat er nicht geschrieben. Oder sagen wir: Mehr ist von seinen Schriften nicht übriggeblieben. Er wurde1940 erschossen.
Geboren wurde Isaak 1894 und aufgewachsen ist er in der Stadt Odessa, von der er schreibt:
«Odessa ist eine richtig miese Stadt. Das weiss jeder. Statt «ein grosser Unterschied» sagt man dort «zwei grosse Unterschiede» und auch: «hinnig und herig». Ich glaube aber, dass sich viel Gutes sagen lässt über diese bedeutende Stadt, die bezauberndste im Russischen Reich.»
Canetti schrieb von ihm, dass er bei Gesprächen unter den Literaten mit grossen Augen zugehört hat.
Ich nehme an, er hat im Kopf die Sätze verbessert, die die andern von sich gaben.
Und zum Schluss noch ein Satz oder Halbsatz:
«Meine Haare frisch gewaschen, meine Schwermut auch».
Er steht in seinem Tagebuch aus dem Jahr 1920.